Open BIM heißt auch direkte Kommunikation

Im Interview: Graphisoft Building Systems

Interview mit Sebastian Schmidt, Vertriebsleiter, und Heiko Clajus, BIM-Consultant, von Graphisoft Building Systems

Sebastian Schmidt, Vertriebsleiter, und Heiko Clajus, BIM-Consultant, von der Graphisoft Building Systems GmbH im Gespräch mit der Redaktion Integrale Planung: Schnell wird auch hier klar, dass der Mensch im Mittelpunkt von BIM-Prozessen – gerade im Kontext von Open BIM – stehen muss. Es ist und bleibt die direkte Kommunikation, das klassische Gespräch, ein wichtiger Teil des Erfolgsgeheimnisses gelungener Projekte.

Herr Schmidt und Herr Clajus, bitte stellen Sie sich zu Beginn unseres Interviews kurz vor und geben Sie unseren Leserinnen und Lesern einen Einblick in Ihre Tätigkeitsschwerpunkte.

Schmidt: Ich bin seit über 13 Jahren in verschiedenen Funktionen für das Unternehmen tätig und habe vor etwa eineinhalb Jahren den DDScad-Vertrieb übernommen. Ich koordiniere die Vertriebsarbeit, kümmere mich um die strategische Ausrichtung und stehe im permanenten Austausch mit dem Graphisoft-Hauptquartier in Budapest. Unser Team aus Branchenfachleuten berät Interessenten und Kunden in Deutschland, den Benelux-Staaten, Skandinavien, Österreich und der Schweiz.

Clajus: Ich betreue speziell große Planungsbüros und Kommunen in der Umsetzung der BIM-Methodik. Dabei berate und schule ich die Mitarbeiter und stelle mit ihnen die BIM-Prozesse auf und zeige ihnen, wie sie diese anwenden und in allen Leistungsphasen nutzen können. Außerdem bin ich Dozent an der Hochschule Karlsruhe und beim VDI Wissensforum tätig.

Lassen Sie uns zunächst einen Blick in den Rückspiegel werfen: Vor fast zwei Jahren, im Sommer 2021, fusionierten die Unternehmen Graphisoft, einer der Marktführer für BIM-Softwarelösungen für die Architektur, und Data Design System (DDS), Planungssoftware-Spezialist für die Technische Gebäudeausrüstung (TGA). Beide Unternehmen sind Teil der Nemetschek Group, einem der weltweit führenden Softwareanbieter für die sog. AEC/O-Branche (Architecture, Engineering, Construction, Operations). Wo steht Graphisoft Building Systems heute?

Schmidt: Wir befinden uns nach wie vor im Integrationsprozess. DDScad und das zugehörige Team sind aber bereits integrale und wichtige Bestandteile des Gesamtunternehmens und der Strategie. Insofern lässt sich die TGA-Sparte nicht getrennt betrachten, sondern Architektur und Building Systems gehören fest zusammen. Das zeigt sich beispielsweise an den Entwicklungsabteilungen für Archicad und DDScad, die mittlerweile ein großes Team bilden und die Entwicklung der Softwaresysteme gemeinsam vorantreiben.

Wirtschaftlich gesehen, können wir perspektivisch die weltweiten Vertriebs- und Marketingkanäle, die Graphisoft aufgebaut hat, nutzen, um die geographische Reichweite für DDScad zu vergrößern. Dies wird dazu beitragen, DDScad auch außerhalb der bestehenden Märkte zu etablieren.

DDS wurde 1984 in Stavanger gegründet, Graphisoft im Jahre 1982 in Budapest. Zum Zeitpunkt der Fusion verschmolzen also gut 75 Jahre Software-Erfahrung miteinander. Frech formuliert: Was konnte Ungarn von Norwegen lernen und andersherum?

Schmidt: So viel gab es da gar nicht voneinander zu lernen. Der Teamgeist, die Offenheit, das Streben nach der besten Lösung und die Bereitschaft, mit den Kunden partnerschaftlich zusammenzuarbeiten, sind bei beiden Unternehmen ähnlich stark ausgeprägt. Gleiches gilt für die Expertise in den Bereichen Open BIM und integrale Gebäudeplanung.

Im Rahmen der Zusammenarbeit in der Nemetschek Gruppe haben wir dann erkannt, dass sich die Stärken der beiden Unternehmen optimal ergänzen: Das DDScad-Team verfügt über großes Know-how in der Entwicklung von BIM-Software für die TGA-Planung. Graphisoft wiederum verfolgt schon länger den Ansatz des „Integrated Design“. Gemeinsam können wir diese Methode jetzt perfektionieren.

Worin liegen also die Hauptvorteile des Schulterschlusses für die Anwender etwa im Bereich der TGA-Fachplanung?

Schmidt: Graphisoft hat über die Jahre einige Technologien entwickelt, die das DDScad-Funktionsspektrum sinnvoll erweitern. Ich denke hier etwa an die hochwertigen Kollaborations- und Visualisierungsmöglichkeiten, die nun auch Anwendern aus dem TGA-Bereich zur Verfügung stehen. Hinzu kommen die bereits erwähnten, größeren personellen Kapazitäten in der Softwareentwicklung, von denen am Ende die Anwender profitieren.

Vor allem aber stehen wir für die enge disziplinübergreifende Zusammenarbeit, durch die herausragende Bauwerke entstehen können. Wir unterstützen seit vielen Jahren Architekten mit Archicad sowie Fachhandwerker und -planer mit DDScad. Durch die Synergien, die sich durch unseren Zusammenschluss ergeben, können wir jetzt auch für multidisziplinär arbeitende Projektteams einen noch größeren Mehrwert schaffen.

Können Sie unseren Leserinnen und Lesern bitte ein konkretes Beispiel für jene Synergien zwischen den Software-Welten von Archicad und DDScad machen?

Schmidt: Durch die konsequente Weiterentwicklung der App BIMx lassen sich hierüber jetzt Projektdaten aus Archicad und DDScad auf sämtlichen Plattformen und über alle mobilen Endgeräte abrufen und visualisieren. Sie können also virtuell ein Gebäude besichtigen, etwa um den Baufortschritt zu kontrollieren. Sie können aber auch die Elektro-Verteilerdokumentation eines Projekts öffnen und von hier aus direkt zu einem Schaltschrank im 3D-Modell springen. Hier zeigen sich die Synergien ganz deutlich: Archicad- und DDScad-Anwender können Bauherren ihr geplantes Projekt realitätsnah vorstellen und Partnerunternehmen kostenfrei einen zusätzlichen Service bieten. Und für die Ausführenden ist es einfach praktisch, ein solches Kontrollwerkzeug auf der Baustelle zu haben.

Clajus: Im kommunalen Bereich ist das ein bisschen anders. Es gibt dort oftmals schon Softwarelösungen, wie bei einer Stadt in Nordrhein-Westfalen, die ich als BIM-Manager unterstütze. Hier war schon eine Software aus der Nemetschek-Welt vorhanden. Es ist natürlich von Vorteil, dass ich dann als BIM-Consultant schon weiß, wie die Software „tickt“. Denn gewisse Grundzüge sind immer gleich, egal ob es sich um Architektur- oder TGA-Anwendungen handelt. Jedoch muss man Open BIM auch mit anderen Softwares „leben“ können. Die TGA hat dabei sehr großen Einfluss auf die Architektur. Genau dieser Punkt wird leider sehr oft unterschätzt oder die beiden Bereiche nehmen sich gar gegenseitig als „Störfaktoren“ wahr.

Warum klafft da oft noch eine solche „Lücke“ zwischen Designorientierung einerseits und TGA andererseits?

Clajus: Kurz und trocken: Weil manche an Bauprojekten Beteiligte immer noch rein designorientiert denken. Zum Beispiel möchte der eine einfach einen großen Durchgang mit viel Tageslicht haben, der andere wiederum muss sich darum kümmern, dass die RLT-Anlage und das Sprinklersystem ihren Raum haben. Genau da ist der „Zwiespalt“.

Die gute Nachricht ist, dass wir diese Lücke natürlich schnell schließen können, wenn wir innerhalb einer entsprechenden Softwarelandschaft arbeiten – weil wir Modelle austauschen können, weil die Anwenderinnen und Anwender direkt sehen und erkennen, wie sie ein baulich-technisches Problem gemeinsam lösen können.

Der gemeinsame, frühe fachliche Austausch ist doch genau das Thema! Nicht umsonst fordern viele Bauexpertinnen und Bauexperten ja schon länger eine Leistungsphase 0 als „integrales Zugpferd“. Sehen Sie da Bewegung im Thema?

Clajus: Es ist sehr zäh. Am Anfang schlage ich unseren Kunden deshalb immer vor, dass wir in der Zeit etwa um 20 Jahre zurückspulen. Sprich: Alle Stakeholder sitzen an einem Tisch, schauen sich gemeinsam die Pläne an, machen zusammen Skizzen und einen Konzeptentwurf. Damals hat die Leistungsphase 0 wunderbar funktioniert. Diese ist auch ein wichtiger Baustein in der digitalen Planung. Das sehen aber viele noch nicht bzw. nicht mehr. Aber wenn dieser Ansatz dann wirklich umgesetzt wird, gestaltet sich die Kommunikation in den Planungsbüros etc. viel besser. Auf den Punkt gebracht: einfach miteinander reden!

Schwenken wir nun wieder auf die Softwareseite: Auf welche neuen Funktionen dürfen sich denn die Anwenderinnen und Anwender der TGA-Planungssoftware DDScad in Zukunft freuen?

Schmidt: Im Elektrobereich wird es zur kommenden Version 19 unter anderem möglich sein, Kabel mit automatisch platzierten Sammelhaltern zu verlegen. Hierbei wird der Füllungsgrad der Komponenten angezeigt. Außerdem lassen sich Problemstellen im Projekt zukünftig direkt in BIMx kennzeichnen, um die anderen Baubeteiligten darauf hinzuweisen. Dies vereinfacht das Issue Management in BIM-Projekten. Mittelfristig dürfen sich die Anwender auf eine Artikeldatenbank mit neuer Technologie freuen, die es ermöglichen wird, Produkte von Drittherstellern in einer Open-BIM-Umgebung für die eigene Planung zu nutzen und Prozesse deutlich flexibler zu gestalten.

In unseren Editionen „Integrale Planung“ – in diversen Fachbeiträgen und Reportagen – macht sich Graphi-soft Building Systems (ehemals DDS) schon seit Jahren stark für den, nun schon mehrfach erwähnten, Open-BIM-Ansatz. Wie kommt die Verbreitung des Open-BIM-Gedankens in Deutschland aus Ihrer Sicht voran? Wo „hakt“ es?

Clajus: Es hat sich schon viel zum Positiven verändert! Vor drei bis fünf Jahren gab es immer noch Bedenken, dass Closed BIM kommt. Diese Sorgen sind mittlerweile verflogen. Open BIM ist bis zur Leistungsphase 5 selbstverständlich geworden. Der größte Knackpunkt für Open BIM ist nun die Leistungsphase 8. Beim Wechsel zu den ausführenden Gewerken geht es nämlich oftmals wieder in Closed BIM zurück. Dennoch ist der Open-BIM-Ansatz mittlerweile sehr gefestigt. Dies nicht zuletzt auch, weil die Software-Welt immer größer wird: Am Anfang haben wir nur in den „großen Disziplinen“ TGA, Architektur und Statik gedacht. Heute sind Befestigungssysteme, Brandschutz und vieles mehr mit dabei. Das alles geht nur mit Open BIM.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle nochmals einen schnellen Blick nach hinten: Während der Corona-Pandemie hörten wir alle viel davon, dass die Pandemie ein „Booster“ sei in Sachen Digitalisierung der Branche. Haben die Planungs- und Ingenieurbüros tatsächlich mehr in ihre digitalen Prozesse und entsprechende Werkzeuge investiert? Wie lauten Ihre Erfahrungen?

Clajus: Nein, ich habe nicht den Eindruck. Die Unternehmen, die die BIM-Methodik verstanden haben und dann aufgrund von Corona ins Home-Office mussten, sind relativ schnell wieder zurück ins normale Büroleben gekommen. Denn ein wichtiges Thema der BIM-Methodik ist und bleibt die Kommunikation. Diese funktioniert über Videocalls und Mails eben nicht so einfach und effektiv, wie die direkte Kommunikation am „runden Tisch“.

Die Menschen wollen sich sehen, miteinander sprechen, sich austauschen und Probleme direkt miteinander lösen. Oder anders ausgedrückt: Statt sich einfach genervt aus einem Videocall auszuloggen, geht man im persönlichen Dialog eher einen Kompromiss ein und kann mit einem Handschlag auseinandergehen. Genau das ist der Ansatz der BIM-Methodik.

Apropos „Planungsbüros“: „einfach BIM“, ein relativ junger Zusammenschluss von BIM-Vorreitern, möchte dazu beitragen, die digitale Arbeitsmethode als Planungsstandard zu etablieren (https://tga.li/NvTV). Zu diesem Zweck hat das Bündnis zahlreiche praxiserprobte Wissensbausteine – darunter standardisierte BIM-Workflows – erarbeitet. Graphisoft Building Systems ist dabei als Verbundmitglied beteiligt. Können Sie uns mehr dazu verraten?

Clajus: Auf der BIM World 2018 kam das Planungsbüro WPW Leipzig GmbH auf mich zu und wir haben uns über Erfahrungen mit Open BIM ausgetauscht. WPW hatte damals eine Anfrage des Helmholtz-Zentrums, die mit der BIM-Methodik arbeiten wollten. Daraufhin haben wir uns direkt zusammengesetzt und sind die ersten Workflows und Anwendungsfälle durchgegangen, um die Umsetzbarkeit der BIM-Methodik in so einem Umfeld, wie es das Helmholtz-Zentrum in Dresden-Rossendorf aufweist, zu prüfen. Das waren die Anfänge und ersten Erkenntnisse, die wir dann teilen wollten. Daraus ist „einfach BIM“ entstanden – und es wird immer größer!

Zum Schluss: Skizzieren Sie bitte Ihre Vision der „AECO-Branche 2030“.

Schmidt: Planungs- und Bauprozesse werden mithilfe von KI zu weitaus größeren Teilen als jetzt digitalisiert und automatisiert sein. Die Gewerke werden enger zusammenarbeiten, weil die steigenden Anforderungen an die Nachhaltigkeit und Energieeffizienz von Gebäuden zu immer komplexeren Bauprojekten führen. Darum ist es unser Ziel, den Ansatz des „Integrated Design“ zu perfektionieren.

Wir möchten eine integrierte Lösung entwickeln, welche die Projektbeteiligten in die Lage versetzt, nahtlos zusammenzuarbeiten und transparent Informationen auszutauschen. Der digitale Gebäudezwilling, Cloud-Technologie, virtuelle Umgebungen, AR – all dies soll durch den Zusammenschluss unserer Unternehmen weiterentwickelt und gefördert werden.

Clajus: (Lacht) Ich habe mich schon so oft getäuscht, deshalb fällt mir eine Prognose wirklich schwer. Aber ein großer Wunsch ist, dass die Architektur- noch besser mit der TGA-Seite zusammenarbeitet. Open BIM kann über alle Leistungsphasen hinweg nur dann gelingen, wenn die Baubeteiligten ein gemeinsames Verständnis von den zugehörigen Prozessen entwickeln und diese nicht für jedes Bauprojekt neu herausgearbeitet werden müssen. Darüber hinaus gilt es, die Perspektiven aller Beteiligten zu berücksichtigen.

Weiterführende Informationen: https://www.dds-cad.de/

Montag, 03.07.2023