Prosumer vs. Consumer

Energieautarkie nur mit Solartechnik

Wir leben in einer Welt, deren Wirtschaftssystem in einem epochalen Wandel begriffen ist: Eine neue Form des Wirtschaftens wird entstehen, weil technologische Umwälzungen die Grenzkosten vieler Produktionsprozesse auf nahezu Null reduzieren. Aufgrund ihrer Effizienz kosten Produkte und Dienstleistungen immer weniger. Eine Ökonomie des Überflusses löst das auf Knappheit gegründete Wirtschaftssystem ab.

Der Autor, Prof. Timo Leukefeld, setzt in Freiberg, Sachsen, eine Idee in die Tat um, die zeigt, wie sich die so genannte „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ im Zusammenhang mit Wohnen, Wärme, Strom und Mobilität über einen integral gedachten Ansatz darstellt: Die beiden energieautarken Häuser bauen dabei auf den kostenfreien und krisensicheren „Rohstoff Sonne“. So versorgen sie sich selbst mit Wärme und liefern den Strom für Haushalt und Mobilität. Energiespeicher ermöglichen es, eigenproduzierte Wärme und Strom antizyklisch, das heißt auch dann, wenn die Sonne gerade nicht scheint, zu nutzen.

Die neuen Gebäude spiegeln den Wandel der Zeit wider: Erneuerbare Energien stehen den Menschen kostenlos und nahezu unerschöpflich zur Verfügung. Im Gegensatz dazu verursachen fossile Brennstoffe oder Uran für Atomkraft bereits als Rohstoff Kosten. War ein Gebäude gestern noch ausschließlich Energieverbraucher, mit der Konsequenz, dass es Wärme und Strom von außerhalb benötigte, so deckt es heute seinen Energiebedarf selbst. Es erzeugt Energie, beispielsweise aus Sonnenlicht, speichert sie und erwirtschaftet bisweilen sogar Überschüsse. In der Energiewirtschaft macht die Solartechnik Kunden zu Produzenten – wenn das System dahinter als solches ganzheitlich geplant und vernetzt realisiert worden ist.

Ohne Solarthermie keine Energieautarkie

Die beiden Gebäude sind die ersten als Fertighaus konzipierten, energieautarken Häuser Europas. Dreh- und Angelpunkt für die Energieautarkie ist das Bau- und Heizkonzept eines so genannten Sonnenhauses. Sonnenwärme ist komplett und für längere Zeit speicherbar. Darauf baut das solarthermische Heizkonzept. Die Technologie zur Wärmespeicherung ist hoch entwickelt und mit ca. 20 Euro pro kWh Investition kostengünstig. Darüber hinaus bringt die solarthermische Kollektoranlage im Winter pro Quadratmeter einen drei- bis vierfach so hohen Ertrag wie Photovoltaik-Anlagen.

Sonnenwärme ist daher für den Eigenverbrauch an Heizung und Warmwasser äußerst effektiv und direkt nutzbar. Zudem sind Solarthermie-Anlagen effizient: Aus einer Kilowattstunde Strom, die bei diesem solaren Heizkonzept für Pumpen, Stellventil und Regler eingesetzt wird, werden bis zu 150 Kilowattstunden natürliche Sonnenwärme erzeugt. Im Gegensatz dazu liegt dieses Verhältnis bei dem Einsatz einer typischen und den Markt dominierenden Luft/Wasser-Wärmepumpe praktisch bei 1:3.

Ein 9 m³ fassender Langzeitwärmespeicher ist das Herzstück des energieautarken Hauses in Freiberg. Dieser lagert die über Kollektoren gewonnene Wärme über mehrere Wochen ein. Die Solarthermie-Anlage deckt hier 65 bis 70 Prozent des Jahreswärmebedarfs für Heizung und Warmwasser direkt aus der Sonne – ohne vorherige Umwandlung in Strom. In den sonnenärmsten Monaten liefert ein Kaminofen mit Hilfe von etwa zwei bis drei Festmeter Stückholz pro Jahr die restliche Wärme. Die Kosten dafür liegen derzeit bei maximal 250 Euro pro Jahr.

Rohstoffe - zu kostbar zum Verheizen

Strom aus dem Netz ist im Winter zu teuer zum Verheizen. Aus diesem Grund wird bei dem gesamten Gebäudekonzept konsequent darauf verzichtet, wertvollen Strom in Wärme zu verwandeln. Vielmehr wird Sonnenwärme direkt über die solarthermische Anlage genutzt. So bleibt der Bedarf an Strom in den energieautarken Häusern über das Jahr hin annähernd gleich und ist mit etwa 5,5 kWh/d selbst im Winter sehr gering. Ins­gesamt ist es gelungen, den Verbrauch von Elektroenergie für die fünfköpfige Familie ohne jede Einschränkung von rund 5.000 kWh auf 2.000 kWh zu senken.

Um dies zu erreichen, nutzen zudem die Haushaltsgeräte wie Waschmaschine, Trockner und Geschirrspüler die Wärme der solarthermischen Anlage. Allein dies führt bei diesen Geräten zu Stromeinsparungen von bis zu 80 Prozent.

Darüber hinaus reduzieren die Vermeidung von stand-by-Verbrauch einzelner Geräte, der Einsatz eines hydraulischen Pumpsystems mit geringsten Widerständen im Heiz- und ­Solarkreislauf sowie ein stromsparendes Lichtkonzept ebenfalls den Stromverbrauch.

Direkte Nutzung der Sonnenwärme und ein generell geringer Stromverbrauch sind essentielle Voraussetzungen für die Projektierung einer ganzjährigen Eigenstromversorgung über Photovoltaik und Stromspeicher (Akku). Eine 8 kWp Photovoltaik-Anlage ist ausreichend, um den nötigen Strom für die energieautarken Häuser zu erzeugen. Um den selbst gewonnenen Strom flexibler einsetzen zu können, wird dieser in einem entsprechend dimensionierten Stromspeicher zwischengelagert. So kann beispielsweise ein Elektromobil auch noch am Abend, das heißt wenn die Sonne gerade nicht scheint, mit eigenproduziertem Strom geladen werden. Der Akku ermöglicht es dem Haus, den Solarstrom eine Woche lang zu speichern, sich autark zu versorgen. Selbst bei Stromausfall können sämtliche Komponenten der Anlage über den Akku versorgt werden.

Einsparungen als zuverlässige Altersversorgung

Da die Preise für Anlagen zur Energiegewinnung weiter fallen, während ihr Wirkungsgrad steigt, amortisieren sie sich immer schneller, verdrängen konventionelle Kraftwerke und können auch in kleinen Einheiten dezentral Energie erzeugen. Sind erst die Kosten für die Solarthermie und Photovoltaik-Anlage und der entsprechenden Speicher eingefahren, lässt sich jede weitere Einheit praktisch umsonst erzeugen. Die auf oben dargestellte Weise gewonnene Energieautarkie, die Heizung, Stromversorgung und E-Mobilität umfasst, bietet daher viele interessante Optionen – für Altersvorsorge, Wohnungswirtschaft und die Gesellschaft als solcher.

Für Eigentümer und Selbstnutzer stellt die Investition in ein energieautarkes Gebäude eine weitreichende Möglichkeit der Altersvorsoge dar und sichert ein komfortables Leben. Anders als bei Investitionen in zu versteuernde Einnahmen (wie zum Beispiel privates Rentenprogramm), setzt dieses Modell auf den Wert steuerfreier Einsparungen, die sich deutlich rentabler auf die Kaufkraft auswirken. Wer in eine energieautarke Wohnung oder ein energieautarkes Haus investiert, spart im Rentenalter die größten Ausgabeposten, nämlich für Wohnen, Wärme, Strom und Mobilität. Zudem behalten energieautarke Gebäude, im Vergleich zu herkömmlichen Immobilien, deren Werteverlust insbesondere in strukturschwachen Regionen häufig eklatant ist, ihren hohen Wiederverkaufswert.

Der Wohnungswirtschaft bietet dies die Möglichkeit, einen Großteil der Kosten für Wärme, Strom und E-Mobilität auf die Kaltmiete umzulegen, da die üblichen Faktoren der Nebenkosten vorhersehbar sind. Den Bewohnern können über Jahre hinweg nicht nur stabile Mieten, so genannte „Flatrate-Mieten“ (Bruttomieten) garantiert werden, sondern – je nach Konzept – kann dies auf die Mobilität ausgeweitet werden. Zudem entfällt die „Jagd“ nach dem günstigsten Energieversorger, die ständige Kostenkontrolle bei Wärme und Strom beziehungsweise die Frage, wo man gerade am günstigsten tanken kann. Dass diese Wohnungen lange leer stehen, ist nicht zu erwarten.

Vernetzte Energieautarkie – zum Nutzen für die Gesellschaft

Die Vision des Autors geht über die eigene Unabhängigkeit hi­naus. Statt eines „Robinson-Daseins“ teilt eine neuartige Lösung langfristig den Nutzen der eigenen energetischen Unabhängigkeit mit der Allgemeinheit. Dies ist ein Geschäftsmodell, das Hauseigentümern die Möglichkeit bietet, sich jenseits staatlicher Subventionen aktiv in die allgemeine Versorgungslage einzubringen.

Dazu wird mit der enviaM-Gruppe, dem regionalen Energieversorger, kooperiert und die Energiespeicher der Gebäude zur Lagerung von Energieüberschüssen zur Verfügung gestellt.

Energieüberschüsse treten immer dann auf, wenn fluk­tuierende alternative Stromerzeuger, wie zum Beispiel Windkraftanlagen, zu viel Strom erzeugen. Dann bleibt den Versorgungsunternehmen häufig nur, die Anlagen abzuschalten.

Dennoch müssen sie auch in diesen Fällen die Einspeisevergütung zahlen, obwohl sie ihren Kunden keinen Strom anbieten können. Alternativ bleibt, für die Abgabe des Überschussstroms in ein ausländisches Netz zu zahlen (negativer Börsenpreis). Für die Versorger bedeutet es in jedem Fall „doppelte“ Kosten, ohne jeden Nutzen.

Die Vernetzung ist für beide Seiten ein lohnendes Konzept. Im Unterschied zu den aufwändigen und prob­lematischen „smart-grid“ und „Schwarm-Strom“-Lösungen, die mit x-tausend Einheiten rechnen und bislang noch mit vielen praktischen Problemen kämpfen, ist sie zudem so innovativ wie simpel: Einfache Steuereinheiten öffnen den Energieversorgern die „Tore“, um deren Stromüberschüsse in die Energiespeicher der energieautarken Häuser einzulagern.

Die geschieht auf zweierlei Art: Der große Langzeitwärmespeicher kann im Winter über einen Elektro-Heizstab rund 600 kWh Energie aufnehmen und speichert die Stromüberschüsse als Wärme. Die Energieversorger können den Hausbewohnern die Wärme gegen ein entsprechendes Entgelt überlassen. Die Rechnung ist einfach: Ein Gebäude ist beispielsweise an die Gasver­sorgung angeschlossen. Der Bezugspreis für Gas liegt bei 6 Cent/kWh. Verkauft der Versorger die eingelagerte Wärme für 5 Cent/kWh an den Nutzer, spart der Nutzer Geld und der Versorger macht Gewinn.

Der Stromspeicher speichert zusätzlich rund 50 kWh der Stromüberschüsse. Die hier vorgehaltene Energie kann, im Fall eines Mangels, auch wieder entnommen und zu besseren Preisen, als dies zu Überschusszeiten möglich ist, auf dem Regelenergiemarkt verkauft werden.

**Vernetzte Autarkie macht nicht nur die Bewohner der Gebäude weitestgehend unabhängig, sie leistet darüber hinaus einen Beitrag zur Stabilisierung der Stromnetze. Anders als strombasierte Heiz­konzepte, die mit Einspeisen und Zurückkaufen von Strom die Probleme ins Netz verlagern, in der Hoffnung, dass sich irgendjemand schon da­rum kümmern wird, unterstützt das Prinzip der vernetzten Autarkie die Energiewende und ist der Allgemeinheit von Nutzen.

Die Grundvoraussetzung dafür ist aber ein integraler Planungsansatz, der sich von einzelnen Gewerken oder Aufgabenstellungen innerhalb des Gebäudes löst. Der Energieerzeugung und -nutzung, Wohnen in seinen unterschiedlichsten Aggregatzuständen, Werkstoffe und Materialien, Funktionalitäten und Prozesse zusammenführt und optimal aufeinander abstimmt**.

Weiterführende Informationen: http://www.timoleukefeld.de/

Donnerstag, 29.09.2016