Komfort

Tollhaus der Zukunft?

Donnerstag, 29.09.2016

Foto eines sogenannten intelligenten Gebäudes, das eine Fehlfunktion aufweist
Quelle: DIAL
In nahezu allen anderen Branchen steht gerade die Frage der Bedienphilosophie moderner Technologien im Zentrum einer integralen Gestaltungsarbeit. In der Baubranche hingegen wird ausgerechnet die Frage der Bedienlogik nicht selten gestaltungs- und planungsfremden Technologen oder gar Nerds überlassen – mit den entsprechenden Ergebnissen.

Dieses kleine Beispiel zeigt eine eklatante Lücke in den konventionellen, statischen Strategien zur Gestaltung energetisch hocheffizienter Gebäude: Sie berücksichtigen nicht den tatsächlichen Energiebedarf im Raum. Oder anders formuliert: Ein Raum wird möglicherweise wärmetechnisch, kältetechnisch, raumlufttechnisch und lichttechnisch konditioniert, egal ob das aktuell erforderlich ist oder nicht. In der aktuellen DIN V 18599 „Energetische Bewertung von Gebäuden“ werden deshalb solche Überlegungen erstmals in Teil 11 „Gebäudeautomation“ berücksichtigt und sind mit der neuen Energieeinsparverordnung (EnEV 2014) in Kraft getreten.

Strukturell entsprechen die hier aufgeführten Automatisierungsgrade mit ihren Gewerke übergreifenden Funktionsclustern den gleichnamigen Funktionsklassen A bis D der EN 15232 „Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden – Einfluss von Ge­bäudeautomation und Gebäudemanagement“, wobei Effi­zienzklasse A besonders hoch effiziente Automationssysteme beinhaltet und Effizienzklasse D quasi als „Sanierungsfall“ gilt. Allerdings finden die in der EN 15232 aufgeführten Gebäudeautomationsfaktoren zur Reduktion thermischer und elekt­rischer Endenergie gängiger Gebäudetypen weder in der energetischen Gesamtbilanzierung nach DIN V 18599 eine ausreichende Berücksichtigung, noch in den führenden Gebäudezertifizierungssystemen wie „BREEAM“, „LEED“ oder „DGNB“.

Effizienz jenseits gesetzlicher Regulierung

Das ist schlichtweg nicht nachvollziehbar, wirft man einen unvoreingenommenen Blick auf die Potentiale, die sich hier abzeichnen und durch diverse, ingenieurwissenschaftlich begleitete Feldstudien immer weiter untermauert werden: Betreibt man ein Bürogebäude beispielsweise mit einem Automationssystem der Klasse A, kann sich der Bedarf an thermischer Endenergie um bis zu 30 Prozent und an elektrischer Endenergie um bis zu 13 Prozent reduzieren! Um diese Potentiale jenseits gesetzlicher Regulierungen marktliberal zu erschließen, führte die „eu.bac“ (European Building Automation and Controls Association) 2013 erstmals eine neue Audit-Methodik für Gebäudeautomationssysteme ein und startete eine Markteinführung in ganz Europa.

Anders jedoch als EN 15232 basiert das „eu.bac“-System auf einem gewichteten Verfahren: Nicht das ganze Gebäude wird energetisch klassifiziert, sondern seine einzelnen Räume und Zonen. Das ist viel praxisnäher, denn in der Regel wird beispielsweise ein Flur anders konditioniert und automatisiert als ein Büro. Um das Bewertungssystem auf einen sicheren Boden zu stellen, wurden die zugrundeliegenden Verfahren und Gewichtungsfaktoren von der TU Dresden verifiziert und bestätigt. Die Effizienzklassen der Automatisierung reichen von F bis AA und werden über eine Skala von 0 bis 100 Punkten relativ bewertet.

Lässt sich Komfort normieren

Einige der Automatismen ergeben aber nicht nur im Kontext von Effizienz einen Sinn, sondern auch im Kontext von Komfort. So ist es gleichermaßen effizient und komfortabel, das Licht bei Verlassen eines Raumes automatisch auszuschalten. In dieser Hinsicht versucht beispielsweise die VDI Richtlinie 3812 „Assistenzfunktionen zum Wohnen“ über eine Planungsmatrix gewisse Spielräume intelligenter Funktionen zu standardisieren. Das Licht in einem Raum wird beispielsweise nicht mehr nur mit Hilfe eines einfachen Schalters ein- und ausgeschaltet, sondern es besteht die Möglichkeit, unterschiedliche Lichtszenen abzurufen und in Kombination mit Verschattungssystemen zu automatisieren.

Im Vergleich zu der enormen Vielzahl standardisierter Assistenzfunktionen, die sich mittlerweile jedem Käufer eines Mittelklassewagens bietet, muss dieser Ansatz allerdings eher als ein erster, einfacher Versuch gewertet werden, sinnvolle Funktionen intelligenter Gebäude auch jenseits von Effizienz zu etablieren. Es erscheint sogar mehr als fraglich, ob dieses Unternehmen in Form normativer Vorgaben und Empfehlungen überhaupt Sinn machen kann. Dagegen sprechen zwei gewichtige Argumente: Im Gegensatz zur Automobilbranche werden in der Baubranche keine Serienprodukte entwickelt, von Robotern gebaut und in hohen Stückzahlen verkauft.

Von Dietmar Half
Teamleiter Smart Building Design, DIAL GmbH
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