Erneuerbare Energien

Wenn das Haus zur „Black Box“ wird

Interview-Serie mit Solarexperte Prof. Dr. Timo Leukefeld - Teil 2 / 3

Freitag, 25.11.2022

Im zweiten Teil der Interview-Serie gibt Prof. Dr. Timo Leukefeld einen Einblick in die Umsetzung von energieautarken Projekten.

Im ersten Teil unserer Interviewreihe mit Prof. Dr. Timo Leukefeld ließ er uns an seinen persönlichen Ansichten und seiner Lebensphilosophie teilhaben. Er gab uns einen Einblick in sein Leben in einem energieautarken Haus und wie er aus eigener Kraft bewiesen hat, dass seine Vision umsetzbar ist und funktioniert.

Falls Sie Teil 1 der Interviewreihe verpasst haben, gelangen Sie hier zu „Intelligentes Verschwenden mit positiver CO2 Bilanz“.

Wie viele Energieautarkie-Projekte haben Sie schon umgesetzt und welches war Ihr liebstes?

Ich habe sie noch nicht gezählt, aber einige ausgewählte finden Sie hier: https://www.autarkie.team/referenzen Besondere Projekte waren die Bäckerei in Wrixum auf der Nordseeinsel Föhr oder ein Rechenzentrum in Cottbus.

Bild zeigt Autarkieprojekt in Wrixum
Quelle: Das Autarkie Team
Eine energieautarke Bäckerei auf der Insel Föhr, eines der Projekte an die sich Timo Leukefeld gerne zurückerinnert.

Wie hoch ist der durchschnittliche Energieautarkie-Anteil bei Ihren Projekten bzw. Ihrem Privathaus und wie erlangen Sie diesen?

Im privaten Einfamilienhaus sind wir gemessen bei der Wärme bei 70 Prozent, beim Haushaltsstrom bei 98 Prozent und beim E-Auto fahren bei 90 Prozent solare Deckung gelandet. Wir haben Solarthermie, einen 9-Kubikmeter Langzeitwärmespeicher, einen Naturzugholzvergaser, Photovoltaik und einen großen Akku eingesetzt. Bei Kundenprojekten im Bereich Mehrfamilienhäuser liegen wir insgesamt bei Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom zwischen 50 und 70 Prozent solare Deckung. Seit zwei Jahren arbeiten wir wegen des Handwerkermangels nicht mehr mit Flüssigkeitsheizsystemen, sondern nur noch mit wartungsfreier Infrarotheizung, viel Photovoltaik und Akku sowie einer sehr guten monolithischen Gebäudehülle. Es ist ein reines enttechnisiertes Strombasiskonzept.

Wie viel muss trotzdem noch fossil geheizt werden?

Gar nicht. Der geringe Rest wird als Ökostrom zugekauft. Das sind je nach Projekt noch etwa 40 bis 80 Euro je Wohneinheit und Monat für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom für mehrere Jahre garantiert. CO2 frei im Betrieb, enttechnisiert und wartungsarm und mit Pauschalmiete sowie Energieflatrate vermietet. Das ist kaum zu toppen.

Ihre Projekte sind oft Mehrfamilienhäuser, lässt sich das auch auf Einfamilienhäuser und Bestandsimmobilien umsetzen?

Wenn wir geeignete Dächer haben und energetisch sanieren dürfen, dann ja.

Wie unterscheiden sich die Kosten eines „normalen“ Neubaus zu einem energieautarken Neubau?

Wenn wir enttechnisieren, dann eigentlich kaum. Eine typische Wärmepumpe mit Fußbodenheizung und zentraler Warmwasserbereitung kostet einem Einfamilienhausbauer fertig montiert inklusive Mehrwertsteuer etwa 38.000 Euro - Tendenz stark steigernd. Dasselbe Einfamilienhaus mit hocheffizienter wartungsfreier Infrarotheizung (die Lebensdauer liegt in der Regel bei 25 Jahren) und dezentraler elektrischer Warmwasserbereitung ausgestattet, liegt bei Gesamtinvestkosten von etwa 12.000 Euro!

Wenn ich die eingesparten 26.000 Euro in eine große Solarstromanlage mit Akku investiere, dann habe ich bei Heizung, Warmwasser, Haushaltsstrom und E-Auto betanken 50 bis 70 Prozent Autarkie und damit Einsparung. Das wäre auch nicht durch ein Wärmepumpensystem zu toppen.

Die Wartungsfreiheit bei der Infrarotheizung ist bei dem Handwerkermangel und dadurch in zehn Jahren entstehenden Stundensätzen von circa 250 Euro allein ein zukünftiger hoher Wert. Durch die immer besseren Gebäudehüllen im Neubau und dem Klimawandel, also den milderen Wintern verliert das Heizen im Neubau mit wassergeführten Systemen völlig an Bedeutung. Wir bauen aber heute noch umfangreiche komplexe und störanfällige Heizungssysteme ein, die für sibirische Winter ausgelegt sind. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

Was muss beim energieautarken Bauen unbedingt bedacht werden?

Gute Südausrichtung, große nutzbare verschattungsfreie Dach- und / oder Fassadenflächen, monolithische Bauweise wegen der Speichermasse und ein geringer Heizwärmebedarf. Viel Photovoltaik und ein Akku mit Notstromfunktion. Dazu eine Ladestation, dann wird das eigene Haus zur Tankstelle für das E-Auto.

Was raten Sie jemandem, der eine Bestandsimmobilie mit einer Öl- bzw. Gasheizung gekauft hat und nicht das Budget hat, sein Haus in Solar zu kleiden, aber trotzdem etwas ändern möchte? Wo anfangen?

Wenn er kein Budget hat, rate ich ihm, das Haus schnell zu verkaufen. Es ist „gestrandetes Anlagevermögen“.

Sie haben ein Modell entwickelt, mit dem man intelligent Strom, Wärme und Mobilität aus Solarenergie verbinden kann, das ganzjährig funktioniert. Können Sie dieses Modell unseren Lesern genauer erklären?

Durch eine sehr gute Gebäudehülle und Solararchitektur reduzieren wir den Heizwärmebedarf auf ein Minimum. Warmwasser machen wir in dem selbst entwickelten Autarkie-Boiler dezentral. Photovoltaik und Akku, dazu Infrarotheizung - also Kabel anstatt Rohre. Die Speichermasse im Gebäude kann Solarenergie lange Zeit speichern, Warmwasser zwei bis drei Tage, im Akku nur einen Tag. Solarstrom ist sehr flexibel einsetzbar, je nachdem, wo er gebraucht wird für Heizung, Warmwasser, Haushaltsgeräte oder das E-Auto. Das Gebäude ist eine Art Black Box. Damit ist so ein Gebäude von Anfang März bis Ende Oktober zu 100 Prozent autark und im Winter wird etwas Ökostrom aus dem Netz zugekauft. Wenn dazu noch Strom-Cloud Lösungen kommen, wird es noch besser.

Apropos „Modell“: Wie hält man bei solchen Anlagen die Kosten in Zaum? Stichwort „Enttechnisierung“.

Indem man weniger Technik, einfachere Technik und langlebigere Technik einplant. Weniger ist für uns Techniker schwerer zu planen. Mehr ist vermeintlich leichter zu planen, zumal viel Technik via KfW viel Fördermittel bekommt. Mit den hohen Instandhaltungskosten der Zukunft steht man dann allerdings alleine da, die werden nicht gefördert. Und wenn man gar keinen Handwerker mehr bekommt, wenn ein Heizkessel defekt ist, dann ist die Heizung aus und es wird kalt.

Bild zeigt Prinzip der vernetzten Energieautarkie
Quelle: Das Autarkie Team
Das Prinzip der vernetzten Energieautarkie ist ein Modell nachdem das Autarkie Team arbeitet und bereits in vielen Projekten umgesetzt hat.

Im dritten Teil des Interviews geht Leukefeld auf die aktuelle Forschung und Ausbildungsberufe ein.
Erscheint am 02. Dezember 2022 auf www.heizungsjournal.de

Von Julia Huber
Online Redakteurin
Aktuelle Bewertung
Noch keine Bewertungen vorhanden
Ihre Bewertung
Vielen Dank für Ihre Bewertung.

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Möchten Sie die aktuellen Artikel per E-Mail erhalten?