Bauphysik

Holz-Plusenergiehaus verschiebt Standards

Dienstag, 31.07.2018

Mehrfach ausgezeichnet wurde das in München-Schwabing erbaute viergeschossige Mehrfamilienhaus "NEST4", geplant von den NEST Architekten. Das Gebäude überzeugt mit den positiven Materialeigenschaften von Holz – in Kombination mit weiteren cleveren Baumaterialien und viel Flexibilität.

Das viergeschossige Mehrfamilienhaus
Quelle: Fotografie Gabriel Büchelmeier/ ZimmerMeisterHaus-Gruppe
Die neue Architektur schafft in der unmittelbaren Nachbarschaft ein hochwertiges und angenehmes Umfeld.

Querschnitt des Mehrfamilienhauses
Quelle: NEST

Mit der Nutzung nachhaltiger Ressourcen steht ein Holzgebäude langfristig für Natürlichkeit und Behaglichkeit. So auch in München beim Projekt "NEST4". Der kompakte Baukörper im Passivhaus-Standard steht in München-Schwabing und wurde errichtet vom Münchner Bauträger NEST Solar Passivhaus GmbH & Co.KG – gemeinsam mit dem angegliederten Planungsbüro NEST Architekten GbR. Für den Holzbau verantwortlich war die Manufaktur Bergmüller aus Bayerbach – Mitglied der deutschlandweit aktiven ZimmerMeisterHaus-Gruppe.

Die NEST Architekten haben damit auf etwa 1.870 m² Gesamtwohnfläche 16 Wohneinheiten mit Wohnflächen von 91 bis 148 m² geschaffen. Davon sind 25 Prozent im "München Modell" – einem speziellen Förderprogramm der Stadt München – finanziert, die restlichen 75 Prozent sind frei finanzierte Wohnungen.

Im Gegensatz zu gewöhnlichen Bauträgerverfahren wurden die 16 individuellen Wohnungsgrundrisse ebenso wie das Wohnumfeld von Anfang an gemeinsam mit den zukünftigen Bewohnern und Wohnungseigentümern geplant.

Gemeinsam mit den Nutzern geplant

Prägnant sind die umlaufenden Balkone, die den Anwohnern eine unmittelbare Kommunikation innerhalb des Gebäudes und in alle Richtungen ermöglichen. Alle Bewohner haben einen freien Blick zur Straße, zur umliegenden Bebauung und zu den eigenen Gartenbereichen. Die den Erdgeschoss-Wohnungen zugeordneten privaten Gärten ergänzen die beliebten Gemeinschaftsanteile. Gerade die gemeinschaftlich genutzten Flächen kommen bei allen Bewohnern gut an: Man nutzt sie als Spielplatz, Grillplatz sowie Kräuter- und Obstgärten.

Eine Wohnung im Mehrfamilienhaus
Quelle: Gabriel Büchelmeier/ ZimmerMeisterHaus-Gruppe
Ganz nach Gewohnheiten und Wünschen konnten die Bewohner die Grundriss-Gestaltung mitbestimmen.

Das Gebäude überrascht mit ungewöhnlichen Gestaltungsmerkmalen. Hinter der strikten Struktur und dem Fassadenraster versteckt sich viel Flexibilität.

Alle Wohnungen haben einen großzügigen Balkon und sind aufgrund der vielen großen Fenster besonders hell. Das flexible Holzbau-System ermöglichte eine individuelle Grundrissgestaltung und – im Falle einer Nutzungsänderung – einen unkomplizierten und schnellen Umbau.

Sämtliche innenliegenden Flure werden ausschließlich durch die Abwärme der Wohnungen mitbeheizt. Durch eine mechanische Lüftung mit Wärmerückgewinnung in allen Wohnungen wird der Energieverbrauch weiter reduziert.

Hochfeuerhemmende Decken, Wände und Dächer

Durch die Leistungsfähigkeit des Baustoffes und die Verarbeitungsgenauigkeit im Holzbaubetrieb konnte man ein offenes und flexibel tragendes Holzbau-System verwenden. Die ZimmerMeisterHaus-Manufaktur Bergmüller errichtete den Holzrohbau mit den in der Zimmerei vorproduzierten Holzbau-Elementen binnen vier Wochen. Der gesamte Rohbau ist aus Holz gefertigt, lediglich die Tiefgarage sowie die Treppenhäuser und Aufzugtürme wurden in Stahlbeton gebaut. Die Tiefgarage hat man komplett ins Erdreich gesetzt.

"Für das Bauvorhaben war Brandschutz für die Gebäudeklasse 4 gefordert, also Feuerbeständigkeit für alle tragenden Wände, Pfeiler, Stützen und Decken", berichtet Dipl.-Ing. Robert Bergmüller, Senior-Chef bei Bergmüller Holzbau. Die Holzbau-Elemente mussten also aufgrund des geforderten Feuerwiderstands von 90 Minuten mit einer K260 Kapselung für die tragenden Teile gefertigt werden.

Die Wände hat man in bewährter Holzrahmenbaukonstruktion errichtet. Der Wandaufbau beginnt von außen nach innen mit einer hinterlüfteten Fassadenverkleidung, anschließend hat man eine Holzwerkstoffplatte aufgebracht, ergänzt um ein 280 mm starkes Riegelwerk. Dazwischen haben die Experten die Mineralfaserdämmung (Flammpunkt 1.000 °C) verlegt, auf der Innenseite schließt die Wand ebenfalls mit einer Holzwerkstoffplatte ab – darauf kam noch die Installationsebene mit Lattung und eine Gipskartonplatte als innere sichtbare Verkleidung.

Ein Treppenhaus.
Quelle: Fotografie Gabriel Büchelmeier/ ZimmerMeisterHaus-Gruppe
Der gesamte Rohbau ist aus Holz gefertigt, lediglich die Tiefgarage sowie die Treppenhäuser und Aufzug- türme wurden in Stahlbeton gebaut.

Nach Bauvorschrift hat man die Decken mit einer Gesamtstärke von 468 mm gebaut, die K260 Kapselung mit 2 x 18 mm Gipsfaserplatten wurde mit Federschienen abgehängt. Zwischen den Deckenbalken hat man eine Mineralfaserdämmung hohlraumfüllend eingebracht, über dem Balken eine Holzwerkstoffplatte, darauf eine Schüttung und eine Trittschalldämmung und darüber den Nassestrich. Darüber kam ein Bodenbelag aus Parkettholz.

"Die Dachkonstruktion wurde als Pultdach ähnlich der Balkenlagen mit Stehfalzdeckung gebaut. Für den Brand- und Schallschutz gab es jeweils vor der Ausführung ein Gutachten, das alle relevanten Anforderungen berücksichtigte. Die beiden Gutachter begleiteten die Arbeiten während der gesamten Bauphase. Nach Abschluss der Arbeiten wurden zusätzlich noch präzise Schallschutz-Messungen ausgeführt. Als ausführender Holzbauer wurden wir von der TU München gemäß den gesetzlichen Anforderungen bei der Herstellung der hochfeuerhemmenden Decken, Wände und Dächer und auch direkt bei der Ausführung vor Ort überwacht und die Bauarbeiten fortlaufend kontrolliert", berichtet Robert Bergmüller.

Kapselung tragender Bauteile

Da von den Planern eine Konstruktion nach der Holzbaumusterrichtlinie vorgegeben wurde, spielte die Kapselung tragender Bauteile eine große Rolle. Bei der statischen Lastabtragung wurde deshalb eine Lösung gewählt, bei der Bauteile wie Wohnungstrennwände, die ohnehin zu kapseln waren, für die Ableitung der Kräfte herangezogen wurden. Schließlich leitete man die Vertikallasten dann über alle Querwände, Giebelwände Ost und West, Wohnungstrennwände und mit Stützen und Unterzügen in den einzelnen Wohnungen ab.

Die Horizontallasten wurden über die Deckenscheiben in die beiden massiven Versorgungstürme eingeleitet und über diese dann in die Fundamente abgeleitet. Stützen und Unterzüge mussten im Hinblick auf den Brandschutz gekapselt werden. Schallschutztechnisch wurden die Übergänge der Stützen in den einzelnen Stockwerken mit geschlitzten Stahlteilen entkoppelt und die Lasten über diese Stahlteile von einem Stockwerk in das andere übergeleitet.

Werkstatt-Planung mit allen Informationen in 3D

Die Werkstattplanung erfolgte vorab umfassend im 3D-Modus. Als Hilfsmittel für diese Pläne dienen gängige CAD-Programme, die in der Lage sein müssen, die einzelnen Bauteile aus den Zeichnungen direkt an Abbundmaschinen zu übergeben. Nach einem theodolitischen Aufmaß wurde mit der Werkplanung begonnen.

Das komplette Bauwerk und jedes darin enthaltene Einzelteil wurde bereits in der Planung konstruiert. Schon in dieser Phase hat man alle Details eindeutig geklärt und in die Planung eingearbeitet. Die Zeichnungen enthalten vom Holzstab über eventuell enthaltene Flächenelemente, Plattenwerkstoffe, Dämmstoffe, Fassadenbauteile und Verbindungsmittel bis hin zur letzten Schraube alle Informationen.

Tragkonstruktion des Mehrfamilienhauses
Quelle: NEST

Zeichnung eines Stockwerksübergangs im  Mehrfamilienhaus
Quelle: NEST

Ein Stützenknoten im Mehrfamilienhaus
Quelle: "NEST"

Wetterunabhängige Vorfertigung

Das Basismodul beim Holzfertigbau ist die Wand- bzw. Decken- oder Dachkonstruktion mit Riegelwerk und einseitiger Beplankung. Sinnvoll ist es bei nahezu jedem Bauvorhaben, die Bauelemente so weit wie möglich in der Werkstatt vorzufertigen, weil dadurch ein wetterunabhängiges und kontrolliertes Arbeiten am Boden ohne baustellenbedingte Schwierigkeiten möglich ist.

Die Vorfertigung beinhaltet dann über das Basismodul hinausgehend die beidseitige Beplankung des Riegelwerkes mit Dämmung, den fertigen Einbau der Bauelemente und bei Putzfassaden den Grundputz auf der Außenseite bzw. die fertige Holz- oder Plattenfassade. Beim Bauvorhaben "NEST4" waren die Elemente zur Montage beidseitig beplankt und gedämmt.

Direkt nach Fertigstellung der Tiefgarage und der beiden Versorgungstürme mit Treppenhaus und Aufzugsschächten aus Stahlbeton hat die Manufaktur die Baustelle "NEST4" übernommen. Planabweichungen im Bau waren in der Werkplanung für den Holzbau berücksichtigt und in einem Montageplan die genaue Lage im Grundriss und die Höhenlage der Wand- und Deckenelemente festgelegt.

Bei der Ausführung der Treppenhäuser in Stahlbeton und der restlichen Konstruktion des Gebäudes in Holzbauweise war darauf zu achten, dass beide Konstruktionen unterschiedlichen Verformungen im Bestand unterliegen.

Vorteile der Holzbauweise

Ein großer Vorteil der Holzbauweise gegenüber der Massivbauweise ist die starke Verkürzung der Bauzeit. In nur vier Wochen stand bei "NEST4" eine geschlossene Gebäudehülle und die Arbeiten konnten wetterunabhängig innerhalb dieser Hülle fortgesetzt werden.

Ein weiterer Vorteil sind schlanke Bauelemente mit einem sehr hohen Dämmwert, was die Nutzfläche im Gebäude gegenüber der Massivbauweise deutlich erhöht. Da es sich beim Holzbau um eine trockene Bauweise handelt, ist eine Austrocknung des Rohbaus nicht erforderlich, was auch hier eine erhebliche Zeitersparnis bedeutete.

Bei "NEST4" musste vor dem nahenden Wintereinbruch eine dichte Gebäudehülle hergestellt werden, was bei den genannten raschen Bauzeiten problemlos möglich war. Das Baufeld und die unmittelbare Umgebung der Baustelle waren für die Holzbau-Experten großzügig nutzbar, schwieriger dagegen gestalteten sich die Transporte der Bauelemente. Der Transportweg der großformatigen Elemente von der Fertigungsstätte bis zur Baustelle betrug rund 100 km.

Genehmigungen für den Transport großer Bauteile

Von der Manufaktur bis zur Autobahn musste man elf Kilometer Landstraße zurücklegen und schließlich vom Ende der Autobahn rund fünf Kilometer durch die Stadt München bis zur Baustelle gelangen. Alle Strecken auf der Landstraße und in der Stadt wurden polizeilich begleitet.

Die Autobahn-Strecke konnte man mit einem eigenen Begleitfahrzeug zurücklegen. In solchen Fällen sind die Fahrzeiten und Strecken mit den jeweils für die im Landkreis befindlichen zuständigen Ämtern zu koordinieren, Anträge zu stellen und die Genehmigungen abzuwarten. Der Transport darf jeweils nur zu den genehmigten Zeiten ausgeführt werden. Dies bedingt eine termingerechte Fertigstellung der einzelnen Bauteile und den entsprechenden Montagefortschritt auf der Baustelle.

Vom Antrag bis zur Genehmigung und dem eigentlichen Transport vergehen in der Regel bis zu drei Wochen. Die größten Teile, die hier transportiert wurden, hatten Abmessungen von 4,20 m in der Breite bzw. Höhe und bis zu 14 m in der Länge. Die Bauteile wurden liegend transportiert.

Die Montage selbst wurde schließlich mit einem Hochbaukran durchgeführt. Dabei musste man Kranstandplatz, Ausladung und Hublasten im Vorfeld genau abklären. Das Gebäude hatte eine Abmessung von etwa 11/50 m bei einer Höhe von etwa 13 m. Die maximalen Hublasten lagen bei etwa 3 t bei einer Aus­ladung von etwa 35 m.

Vom Passiv- zum Plusenergiehaus

Das energetisch hocheffiziente Gebäude wurde vom Passivhaus zum Plusenergiehaus weiterentwickelt und bietet den Bewohnern zukunftssichere, behagliche Wohnungen mit dauerhaft geringen Nebenkosten (Heizwärmebedarf: 15 kWh/m²a). Den Primärenergiebedarf für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom konnte man so weit reduzieren, dass dieser im Saldo rechnerisch vollständig durch die eigenen Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien, wie Photovoltaik (hier: 450 m², 60 kWp), gedeckt werden kann.

Die Idee und Umsetzung des ressourceneffizienten Gebäudes wurde bereits mit verschiedenen Auszeichnungen belohnt: Zum Beispiel hat der BFW Landesverband Bayern e.V. und der Deutsche Werkbund Bayern e.V. das Bauvorhaben mit dem "Preis für Qualität im Wohnungsbau 2015" ausgezeichnet. "NEST4" überzeugte die Jury durch den "außerordentlich gelungenen Gleichklang ästhetischer, wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Qualitäten". Von der Stadt München erhielten die Planer den "Ehrenpreis für guten Wohnungsbau 2015" mit dem Juryurteil: "In Zeiten des Klimawandels ist das Projekt beispielhaft für eine nachhaltige Entwicklung für Wohnen im urbanen Raum."

Fazit

"Holz ist einer der wichtigsten Baustoffe der Gegenwart und Zukunft", betont Dipl.-Ing. Robert Bergmüller. "Mit dieser durch und durch ökologischen Bauweise schaffen wir heute nachhaltige Holzgebäude, die alle Vorteile des Materials auf lange Sicht bieten und ein gesundes Wohnklima garantieren."

Dipl.-Ing. Robert Bergmüller, Senior-Chef bei Bergmüller Holzbau und Präsident der Vereinigung ZimmerMeisterHaus.
Quelle: Fotografie Gabriel Büchelmeier/ ZimmerMeisterHaus-Gruppe
"Dass »NESt4« aus Holz gebaut ist, war nur dem Rohbau anzusehen", so Dipl.-Ing. Robert Bergmüller, Senior-Chef bei Bergmüller Holzbau und Präsident der Vereinigung ZimmerMeisterHaus.

Besonders gute Wärmedämmeigenschaften, angenehmes Raumklima, ein nachwachsender Rohstoff und somit ein ressourcenschonendes Bauen – all dies verbuchen Bauherren und Architekten auf der Plusseite von Holzgebäuden. Gute Voraussetzungen für zukunftsorientierte Bauten – auch innerstädtisch.

Von Eva Maria Mittner
Freie Journalistin
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