TGA

Gute Gebäude sind das Ziel

Mittwoch, 07.08.2019

Interview mit Christine Degenhart, Präsidentin Bayerische Architektenkammer.

Sehr geehrte Frau Degenhart, bitte geben Sie unseren Leserinnen und Lesern zunächst einen kurzen Überblick über die Struktur und Tätigkeiten der Bayerischen Architektenkammer.

Der Bayerischen Architektenkammer gehören derzeit rund 24.500 Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner als Pflichtmitglieder an. Diese sind freiberuflich, beamtet, angestellt oder baugewerblich tätig. Vertreten wird die Kammer durch die Präsidentin. Vorstand, Vertreterversammlung, zahlreiche ehrenamtliche Gremien und die Geschäftsstelle in München arbeiten bei der Umsetzung der vielfältigen Aufgaben im Rahmen der Selbstverwaltung des Berufsstandes intensiv zusammen. Wir informieren über die Leistungen und Kompetenzen unserer Mitglieder und organisieren deren qualifizierte Fort- und Weiterbildung. Wir setzen uns für eine angemessene Honorierung, eine ordnungsgemäße Vergabe von Planungsleistungen und für die Förderung des Wettbewerbswesens ein. Über unsere Beratungsstellen "Barrierefreiheit" sowie "Energieeffizientes und Nachhaltiges Bauen (BEN)" bieten wir Kammermitgliedern und Interessierten kostenfreie Erstberatungen an.

Christine Degenhart im Gespräch.
Quelle: Dominik Fritz
"Zukunftsfähige Gebäude zeichnen sich heute dadurch aus, dass sie modern geplant und gebaut, dabei individuell und hochwertig gestaltet sind. Zukunft heißt heute: »form follows sustainability«", so Christine Degenhart, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer.

Ein Kern-Thema für alle Akteure im Bereich Planen und Bauen ist dieses Jahr sicherlich das GebäudeEnergieGesetz (GEG), das EnEG, EnEV und EEWärmeG zusammenführen soll. Wie bewerten Sie dieses Vorhaben aus Architektensicht?

Die Entscheidung über den Entwurf des aktuellen GEG liegt derzeit beim Bundesbau- bzw. Bundeswirtschaftsministerium. Verbunden ist damit die Umsetzung einer EU-Richtlinie in nationales Recht bis Ende dieses Jahres. Tiefgreifende gesetzliche Änderungen, wie beispielsweise eine weitere Erhöhung von energetischen Standards bei Gebäuden, erwarten wir derzeit nicht.

Wir wünschen uns jedoch, dass im Zuge der europarechtlichen Anpassung das aus unserer Sicht längst überfällige Thema "graue Energie" – das heißt, die Energie, die in bestehenden Gebäuden bei deren Herstellung bereits gebunden wurde und beispielsweise bei behutsamer Sanierung nicht neu aufgewendet werden muss – noch deutlicher einbezogen wird. Deutschland hat einen umfangreichen Gebäudebestand mit einer aktuell noch zu geringen Sanierungsquote von zwei Prozent. Darin sehe ich umfangreiches Potential für nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklungen. Wäre die vorhandene "graue Energie" bei der Energiebilanzierung verpflichtend zu berücksichtigen, würden Bestandsbauten insgesamt eine höhere Wertschätzung erfahren. Energieeffizienz und Nachhaltigkeit können zudem auf vielen Wegen erreicht werden. So sind wir als Kammer mit weiteren Partnern davon überzeugt, dass die Standards der EnEV auch mit alternativen Maßnahmen oder Berechnungen nachgewiesen werden können und setzen uns deshalb für eine sogenannte "Innovations-Klausel" ein.

Werden das GEG 2019 – und damit auch der Niedrigstenergie-Standard für Neubauten – zu einer massiven Verschiebung architektonischer Konzepte in Richtung "form follows function" führen?

Die Forderung nach einem Nahezu-Nullenergie-Standard ist nicht neu, wir arbeiten derzeit bereits flächendeckend und vielfältig mit ambitionierten energetischen Standards. Eine "massive Verschiebung" hin zu rein funktionalen Bauten klingt mehr nach einer Drohung als nach einem Versprechen. Es ist doch vielmehr so: Das Konzept "form follows function" ist jederzeit durch ökologische Aspekte erweiterbar. Zukunftsfähige Gebäude zeichnen sich heute dadurch aus, dass sie modern geplant und gebaut, dabei individuell und hochwertig gestaltet sind. Die Materialien, die verbaut werden, sind akzeptiert und das Gebäude erfüllt innerhalb seines räumlichen Kontextes idealerweise auch einen baukulturellen Anspruch. Was auf diese Weise anspruchsvoll gestaltet ist, ist nachhaltig. Es steht länger, weil es von Nutzern und der Umgebung akzeptiert wird. Zukunft heißt heute: "form follows sustainability".

Selbst einige bekannte Vertreter und Hersteller aus der Gebäudetechnikindustrie halten die moderne Technische Gebäudeausrüstung (TGA) für überkomplex und vor allem für den Bauherren, Investor und späteren Nutzer kaum mehr zu überblicken. Welche Meinung haben Sie hierzu?

Bei der Diskussion "Low Tech" versus „High Tech“ haben sicher beide Standpunkte ihre Berechtigung. Wichtig ist: Technik kann, muss jedoch nicht. Technik darf in erster Linie auf die Bedürfnisse und Wünsche der Nutzer zugeschnitten sein. Eine smarte Anwendungssoftware zum Beispiel kann den Nutzer unterstützen, sie kann jedoch keine schlechte Vorbereitung oder Realisierung des Projekts ersetzen oder kompensieren. Trotz aller Technikaffinität geht es vor allem darum, für eine Bauaufgabe die bestmögliche Lösung auch im Sinne der Nutzerfreundlichkeit zu erzielen. Dafür sind eine frühzeitige Einbindung von Fachplanern in den Planungsprozess und regelmäßige Updates in der Zusammenarbeit mit Architekten unverzichtbar. Dies gilt vor allem bei Fragen zur Bauphysik. Verschattung von Gebäuden, Wärmegewinnung durch Sonneneinstrahlung und auch der sommerliche Wärmeschutz erfordern intelligente Lösungen des gesamten Expertenteams.

"Ein Haus ist eine Maschine zum Wohnen", postulierte vor nunmehr fast 100 Jahren Le Corbusier. Heute sind manche Gebäude in der Tat eher Maschinen – von Wohn- und Behaglichkeit manchmal keine Spur mehr (z.B. Akustikprobleme in Büros, überbordende Brandschutzauflagen für Zweckbauten, hoher Kühlbedarf von Wohnungsneubauten). Wie gehen moderne Architektinnen und Architekten damit um? Wie lauten mögliche Lösungsansätze, um den Zielkonflikt "Effizienz vs. Behaglichkeit vs. Bezahlbarkeit" aufzulösen? Stichwort: Integrale Planung…

Effizienz, Behaglichkeit und Bezahlbarkeit schließen sich nicht aus. Gerade wenn alle drei Kriterien gleichzeitig bestmöglich erfüllt werden, sprechen wir davon, dass das Gebäude nachhaltig und klimaschonend geplant und gebaut wurde. Denn dann handelt es sich um zukunftsfähige Architektur. Intelligente Konzepte erfordern jedoch auch hier eine frühzeitige Abstimmung aller Projektbeteiligten, um zum Beispiel bei den Lebenszykluskosten oder auch bei der Ökobilanz des Gebäudes optimale Ergebnisse zu erzielen. Zu zentralen Handlungsfeldern des nachhaltigen Bauens, zur integralen Planung und zu bewährten Praxislösungen informiert beispielsweise unser aktueller Leitfaden "Nachhaltigkeit gestalten". Und auch unsere Beratungsstelle "Energieeffizienz und Nachhaltigkeit" unterstützt Bauherren, Investoren und alle Projektbeteiligten gerne mit einer kostenfreien Erstberatung durch unsere Experten.

Burg Falkenberg
Quelle: André Mühling
Burg Falkenberg, Bauherr: Markt Falkenberg; Architektur: Brückner & Brückner Architekten GmbH, Preisträger "Bauen im Bestand 2017".

Was macht für Sie ein "gutes Gebäude" aus? Wie definieren Sie "Nachhaltiges Bauen" persönlich?

Ein gutes Gebäude funktioniert und fasziniert. Es bietet seinen Nutzern Heimat und steht in einem angemessenen Zusammenhang mit seiner Umgebung und seinem Quartier. Es lässt sich gut instand halten und altert in Würde. Nicht zuletzt passt es sich den unterschiedlichen Anforderungen und auch wechselnden Nutzungen an. Es wurde ressourcenschonend umgesetzt und die verwendeten Baumaterialien stammen aus der Region.

Das Venn-Diagramm zeigt die Überschneidungen zwischen Baukultur, Energie und Nachhaltigkeit.
Quelle: ee concept GmbH, Broschüre "Nachhaltigkeit gestalten", Bayerische Architektenkammer, Hrsg.
Effizienz, Behaglichkeit und Bezahlbarkeit schließen sich nicht aus. Intelligente Konzepte erfordern jedoch eine frühzeitige Abstimmung aller Projektbeteiligten, um zum Beispiel bei den Lebenszykluskosten oder auch bei der Ökobilanz des Gebäudes optimale Ergebnisse zu erzielen.

Was meinen Sie, kann Building Information Modeling (BIM) hierbei positive Impulse liefern? Wenn ja, inwiefern?

Die Digitalisierung bietet eine Vielfalt an positiven Möglichkeiten. Sie klug umzusetzen und dabei die Qualität beim Planen und Bauen zu steigern, stellt alle an der Wertschöpfungskette Bau Beteiligten vor große Herausforderungen. So ermöglicht zum Beispiel die Planungsmethode BIM einen schnellen Vergleich im Lebenszyklus von Holz- zu Hybrid- bzw. zu Massivbauweise ganz zu Beginn einer Projektplanung. Auch bei der Entwicklung von Energiekonzepten können durch digitale Simulationen viele bauphysikalische Fragestellungen frühzeitig sichtbar gemacht werden. Die praktische Umsetzung erfordert jedoch ein motiviertes und partnerschaftlich vernetztes Zusammenwirken aller Beteiligten, von der Planung bis zu den ausführenden Unternehmen. Nur dann können Planungsentscheidungen für alle frühzeitig verbindlich festgeschrieben und Arbeitsprozesse, Rahmenbedingungen und auch die Datensicherheit optimal und so sicher wie möglich gestaltet werden.

Das virtuelle Entwerfen, Planen, Bauen und Betreiben ist der Mega-Trend in der Bauwirtschaft. Welchen Nutzen sehen Ihre Mitglieder darin? Welche aktuell noch ungelösten Fragen treiben Sie um?

Ich bin überzeugt, dass Architekten, Stadtplaner, Landschaftsarchitekten und Innenarchitekten wie bisher im Planungs- und Bauprozess eine zentrale Rolle einnehmen werden und diese mit BIM sogar noch stärken. Zu klären sind aktuell noch Fragen des Vertragsrechts, des Urheberrechts, zu Vergaberecht und Normung und nicht zuletzt die Frage einer angemessenen Honorierung für die Planung mit BIM. Aber auch die digitalen Schnittstellen zwischen den Projektbeteiligten müssen weiter und mit Nachdruck ausgeformt werden, damit eine reibungslose Zusammenarbeit gelingen kann. Zentrale Fragestellungen treiben uns hier um: Wie werden technische Veränderungen den Planungsprozess beeinflussen? Welche fachliche Kompetenz muss bei allen an der Wertschöpfungskette Bau Beteiligten vorhanden sein bzw. noch ausgebildet werden? Wie können alle Beteiligten gut zusammenarbeiten? Welche technischen Voraussetzungen für die Einführung der erforderlichen Software müssen gegeben sein? Sind die notwendigen Kosten auch von kleineren und mittleren Büros bezahlbar?

Einige Lösungen und positive Praxisbeispiele gibt es bereits. Die Bundesarchitektenkammer und die Architektenkammern der Länder gestalten von Beginn an aktiv nationale und internationale Standardisierungsverfahren zu BIM mit. Die Länderarchitekten- und -ingenieurkammern bieten Fortbildungen auf der Basis eines bundesweiten BIM-Standards Deutscher Architekten- und Ingenieurkammern an. Besonderes Augenmerk richten wir bei der Digitalisierung natürlich auf die kleineren und mittelständischen Betriebe und Unternehmen, die in Deutschland traditionell das Fundament einer baukulturellen Vielfalt bilden und agil neue Methoden umsetzen können. Rund 80 Prozent der Architekturbüros arbeiten mit drei bis fünf Mitarbeitern. Sie müssen zentraler Bestandteil der Entwicklung bei der Digitalisierung bleiben und einen dauerhaften Marktzugang erhalten.

Drei Menschen im Gespräch an einem Tisch.
Quelle: Bayerische architektenkammer, Tobias Hase
"Rund 80 Prozent der Architekturbüros arbeiten mit drei bis fünf Mitarbeitern. Sie müssen zentraler Bestandteil der Entwicklung bei der Digitalisierung bleiben und einen dauerhaften Marktzugang erhalten", betont Christine Degenhart.

Sie haben einen Wunsch frei, der die Planungspraxis deutlich "unkomplizierter" bzw. effektiver macht. Wie würde dieser lauten?

Gute Planung braucht wenige Regeln, um zu funktionieren. Langwierige Gerichtsprozesse und überfrachtete Normen bedrohen heute zunehmend eine effektive Umsetzung von Projekten, sie machen vieles unkalkulierbar und das Bauen teuer. Hier müssen wir deutlich besser werden. Ideal wäre es, wenn wenige Gesetze regeln, woran Planer sich zu halten haben.

Frau Degenhart, wir danken Ihnen für dieses sehr aufschlussreiche Gespräch!

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