Nachhaltigkeit

Hainbuche als Klimaanlage

Dienstag, 24.08.2021

Düsseldorfs Stadtmitte gibt Europas größte Grünfassade eine neue Prägung. Acht Kilometer Hainbuchenhecke auf dem Dach und vor der gestuften West- und Nordfassade des Geschäfts- und Bürohausensembles Kö-Bogen 2 verwandeln die Fronten zu hängenden Gärten. Nicht nur das. Sie formen mit der ansteigenden Rasenfläche auf der Bedeckung des benachbarten Food- und Einzelhandelmarktes ein Grüntal aus, das zum Erholen und Entspannen einlädt: In Summe profitieren Mikroklima, Umweltschutz und Lebensqualität von der erfrischenden Botanik des Neubauensembles im Stadtzentrum.

Foto: Kö-Bogen 2, grüner Punkt im Düsseldorfer Shopping-Viertel.
Quelle: Ingenhoven Architects, www.ingenhovenarchitects.com
Kö-Bogen 2, Düsseldorfs grüner Punkt im Shopping-Viertel.

April 2021, der Neubau steht. Die Centrum Gruppe und die B&L Gruppe vollenden in diesen Wochen die Umgestaltung des Stadtquartiers zwischen dem Jan-Wellem-Platz und dem Gustaf-Gründgens-Platz nahe der Königsallee. Auf dem fast 14.000 Quadratmeter großen Areal setzt in der attraktivsten Lage der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt die Phytotechnologie die architektonischen Akzente. Sie ist die Wissenschaft von der nachhaltigen Begrünung, unter anderem von Fassaden und Dächern. Die Hainbuchen, zu etwa 1,30 m großen Sträuchern kupiert, schlängeln sich als acht Kilometer langer Zaun die fünf Etagen der West- und Nordfassade hinauf auf und über das Dach des Geschäfts- und Bürohauses Kö-Bogen 2 an Düsseldorfs Shoppingmeile Schadowstraße. Die Verdunstung und Verschattung der Botanik stellte die beteiligten Ingenieure vor einige Herausforderungen. Sowohl was die Bewässerungstechnik angeht als auch die Auswirkungen auf das Raumklima.

Gegen die Aufheizung

Etymologisch leitet sich Phytotechnik aus dem Griechischen ab. Phyto heißt Pflanze. Ob Pflanzentechnik als Untergruppe der Biotechnologie, kurz Biotech, gesehen werden darf, sei an dieser Stelle nicht diskutiert. Dem Kern nach befasst sich die Biotech mit der Nutzung von Organismen zur Herstellung von chemischen Verbindungen, etwa von Lebensmitteln. Die Verarbeitung von Milch zu Käse bedarf bestimmter Mikroorganismen. Oder: Ohne Hefe gärt kein Bier. Das ist Biotech. Die Phytotechnik dagegen beschäftigt sich in erster Linie mit der Wissenschaft und Nutzung eines gezielten Pflanzenanbaus – Nutzung zum Beispiel als natürliche Klimaanlage.

Die flächige Begrünung des Kö-Bogen 2 verhindert, dass sich die Fassade bei starker Sonneneinstrahlung überproportional aufheizt und Teile dieser Hitze sowohl nach innen abgibt als auch nach außen unter das Straßenklima mischt. Die Hecke übernimmt in beiden Fällen also die Funktion eines Hitzepuffers. Diesen Kühlungseffekt verstärkt die Transpiration der Blätter. Denn die Hainbuchen werden über eine Bewässerungsanlage ganzjährig bedarfsgerecht mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Damit fungieren die acht Kilometer als riesige adiabatische Kältemaschine, von deren Aktivität sich die Käufer vor den Schaufenstern des noblen Kaufhauses an heißen Sonnentagen gerne länger festhalten lassen – was sicherlich nicht dem Portemonnaie, aber den Mietern der Ladenlokale, wie zum Beispiel H&M, gut tun wird.

Foto: Der Kö-Bogen 2 besteht im Prinzip aus zwei Gebäuden, dem eigentlichen Büro- und Geschäftsgebäude sowie einem „Foodcourt“ mit Schnellimbissen und Einzelhandel unter dem schrägen Liegewiese-Dach.
Quelle: Genath
Ab Sommer dieses Jahres – wenn es denn Corona zulässt – will das Ingenhoven-Tal des Ensembles mit Bistrotischen und -stühlen der Pausenfüller beim Shoppen sein. Der rund 14.000 m2 große Komplex Kö-Bogen 2 besteht im Prinzip aus zwei Gebäuden, dem eigentlichen Büro- und Geschäftsgebäude sowie einem „Foodcourt“ mit Schnellimbissen und Einzelhandel unter dem schrägen Liegewiese-Dach. Im Hintergrund das Dreischeiben-Hochhaus und das Schauspielhaus.

Grundlage von der Beuth Hochschule

Insgesamt hat das Projekt ein Finanzvolumen von rund 600 Mio. Euro. Investor sind zwei Projektentwickler für hochwertige Immobilen, die Centrum Gruppe, Düsseldorf, und B&L, Hamburg. Die neuen Eigentümer hatten nach zähen Verhandlungen den brach liegenden und vereinsamten Gustaf-Gründgens-Platz vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus und dem architektonischen Kleinod Dreischeibenhaus für 70 Mio. Euro der Stadt abgekauft. Für das spektakuläre Gesamtkonzept zeichnet das Düsseldorfer Architekturbüro Ingenhoven Architects verantwortlich. Wie gesagt, der Komplex steht kurz vor der Fertigstellung. Den letzten Pflanzentrog stellte der Kran bereits im Frühjahr 2020 auf die Traverse, die letzten Mieter wie auch eine Büromannschaft der Eigentümer sind jetzt, April 2021, dabei, einzuziehen. „Für mich steht dieses Gebäude für ein Paradigmenwechsel: Aus städtischer Perspektive für die Abkehr vom automobilen Zeitalter und die Hinwendung zum Menschen als Maßstab. Mit Europas größter Grünfassade bietet der Kö-Bogen zugleich eine Antwort der Städte auf den Klimawandel“, ging Architekt Christoph Ingenhoven auf einer Pressekonferenz auf die nachhaltige Aufgabe heutiger Bauprojekte ein.

Der Entwurf der Phytotechnik stammt von der Beuth Hochschule in Berlin. Sie gehört zu den eigentlich immer noch wenigen Forschungs- und Bildungseinrichtungen für diese Disziplin in Deutschland. Prof. Dr. rer. hort. Karl-Heinz Strauch – hort. für Gartenbauwissenschaft hortensium –, Lehrbeauftragter für Biosystemtechnik und Phytotechnologie, hatte zu Beginn der Planung des Geschäftshauses die Anforderungen an das Begrünungssystem in einer umfangreichen Studie vorgelegt und darin den Effekt der Pflanzenhülle aus Hainbuchen für das innerstädtische Klima betont. „Nach unseren mehrjährigen Untersuchungen kennen wir das Wachstum der Pflanzen in diesem speziellen Pflanzsystem, ihre Bedürfnisse ebenso wie ihre ökophysiologische Leistungsfähigkeit. Dabei war der Wasser- und Wärmehaushalt der Laubfläche von besonderem Interesse ebenso wie die Frage nach der CO2-Aufnahme. Wir wissen nun, dass allein die Pflanzenhülle der Fassade eine Laubfläche von 30.000 m2 hat, Sauerstoff wie ein Park mit rund 80 ausgewachsenen Laubbäumen produziert und nicht nur CO2 aufnimmt, sondern auch Fein- und Feinststaub über die Blattoberflächen bindet.“

Von Bernd Genath
Düsseldorf
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